Blogserie #3: Regeln und Boundary-Typen

21. März 2017 - Katrina Welge, Studiengangleiterin CAS Work Smart Management, FHNW

Mobil-flexible Zusammenarbeit aktiv gestalten

Die von einem mobil-flexiblen Charakter geprägte Zusammenarbeit geht immer auch mit dem Bedürfnis nach einer bewussten und aktiven Gestaltung ebendieser Zusammenarbeit einher. Eine Möglichkeit zur Gestaltung liegt in der Definition von gemeinsamen Regeln zum Beispiel in Form eines Collaboration Manifests oder einer Policy. Dabei stellt sich als erstes die Frage, auf welcher organisationalen Ebene eine solche Regelung geschieht: Eine unternehmensweite Policy kann Leitlinien vorgeben, viele Details aber – wie z.B. Reaktionszeiten für E-Mails oder die Erreichbarkeit am Wochenende – bedürfen einer gemeinsamen Entscheidungsbasis unter Einbezug aller beteiligten Hierarchiestufen.

Teams und Unternehmen, die mit der mobil-flexiblen Arbeitsweise noch am Anfang stehen, fordern meist mehr und detailliertere Regelungen. Erfahrene Teams können zu starke Vorgaben eher als einschränkend erleben. In diesem Fall kann es die Führungskraft auch verstärkt dem Team überlassen, selbstorganisiert passende Regeln für die Gestaltung der Zusammenarbeit zu definieren.

Mit den Regeln gemeinsam wachsen

Das Aufstellen von Regeln und deren stetige Reflexion und Weiterentwicklung steht in engem Zusammenhang mit der Art und Weise der Kommunikation über die Erreichbarkeit, welche fast immer Gegenstand der Regeln darstellt. Die Erreichbarkeit mobil-flexibler Mitarbeitender ist nicht mehr über Anwesenheit zu erkennen, sondern muss proaktiv mitgeteilt und zugänglich gemacht werden. Die Kommunikation über Erreichbarkeiten anzustossen, kann als neue Führungsaufgabe verstanden werden. Dem Team sollte ermöglicht werden, für sich passende Regeln festzulegen. Weitere Aspekte der Erreichbarkeit betreffen beispielsweise die Anwesenheitszeiten im Hauptbüro und die Kernarbeitszeiten. So können z.B. fixe Tage als Anwesenheitstage und fixe Stunden (z.B. von 10-16 Uhr) als erreichbare Arbeitsstunden definiert werden.

Vom Integrieren und Segmentieren

Neben der unterschiedlichen Erreichbarkeit von Teammitgliedern variieren Menschen auch darin, wie stark sie Beruf- und Privatleben verbinden (d.h. «integrieren») bzw. trennen (d.h. «segmentieren»). Weil sich die Grenzen (engl. boundaries) bei mobil-flexibler Arbeit stärker vermischen, bedarf es geleiteter Reflexionsprozesse, um den eigenen Umgang mit den Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben bedarfsorientiert managen und gestalten zu können. Nachfolgend zeigen wir auf, worauf Führungskräfte im Umgang mit den unterschiedlichen Boundary-Typen achten sollten.

Menschen vom Typ Integrierende erleben es als unangenehm, wenn sie nicht erreichbar sind bzw. nicht die Freiheit haben, ihre Arbeit flexibel zu gestalten. Auch arbeiten Integrierende signifikant häufiger zu Randzeiten unter der Woche und am Wochenende als Segmentierende und Mischtypen. Vor allem für diese Zielgruppe ist ein reibungsloses Funktionieren der technischen Devices, wie Laptop mit Remote Access und Mobiltelefon, entscheidend. Die Führungskraft sollte sich daher zum einen für die technischen Mittel einsetzen und zum anderen möglichst freie Hand bei der Arbeitserledigung lassen, um die Flexibilität von Integrierenden nicht zu beschneiden.

Menschen vom Typ Segmentierende dagegen trennen strikter zwischen Beruf und Privat, können aber durchaus auch mal integrieren, weshalb es die zu 100% Segmentierenden (und vice versa die zu 100% Integrierenden) nicht gibt. Wenn sie aber mal integrieren und z.B. am Wochenende arbeiten, um das Arbeitsvolumen zu bewerkstelligen oder mal abends telefonisch erreichbar sind, erwarten sie, dass diese Ausnahmen auch beachtet und wertgeschätzt werden. Meist bevorzugen Segmentierende eher die Arbeit im Main Office. Arbeiten im Home Office fällt ihnen eher schwer und sie benötigen für sich klare Tagesziele und Rituale, um in den Arbeitsmodus zu kommen. Vor allem Führungskräften, die eher integrieren, sei empfohlen die Arbeitsweise der Segmentierenden zu respektieren und sie dabei zu unterstützen, die für sie passenden Boundary-Management-Taktiken zu entwickeln und auszuprobieren.

Der Mischtyp kennzeichnet sich dadurch aus, dass er sowohl integriert als auch segmentiert. Gemäss Selbstaussagen von Mischtypen kann es vorkommen, dass sie sich bei zu viel Segmentation abgeschnitten fühlen aber bei zu viel Integration den Überblick verlieren. Mischtypen unterscheiden jedoch auch die Bedingungen, weshalb sie integrierend arbeiten. So präferieren sie es, wenn sie aus freien Stücken, also aufgrund der intrinsischen Motivation integrieren und nicht, weil andere es explizit von ihnen erwarten. Für Führungskräfte bedeutet dies, dass sie Mischtypen bei der Erarbeitung eigener Boundary-Management-Taktiken unterstützen und ein stärkeres Auge auf sie werfen müssen, als auf Integrierende oder Segmentierende. Vor allem als integrierende Führungskraft müssen die Erwartungen gegenüber einem Mischtypen eindeutig geklärt sein, weil diesen Mitarbeitenden besonders dann das Abgrenzen schwerfällt, wenn die vorgesetzte Person zu atypischen Zeiten Erreichbarkeit einfordert oder Arbeitsaufträge vergibt. Hier können auch Commitments seitens der Organisation helfen, für Klarheit zu sorgen – vor allem dann, wenn Segmentierende als faul, leistungsunwillig oder „nicht committed“ angesehen werden, weil sie für sich klare Grenzen zwischen Beruf und Privat ziehen.

Werden die unterschiedlichen Arbeitsweisen von Segmentierenden und Integrierenden nicht thematisiert und eingeordnet, kann dies zu Frust, Stress und einer konfliktbehafteten Zusammenarbeit führen.

 

Zwischen Autonomie und Gefährdung

Mobil-flexibel Arbeitende können das Wann und Wo ihrer Arbeit grösstenteils selbst bestimmen, weshalb v.a. bei Integrierenden und Mischtypen die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben sehr leicht verschwimmen können. Wird diese Autonomie durch das Führen durch Ziele (Management by Objectives) noch verstärkt, kann dies einerseits mit einer höheren Arbeitsmotivation sowie höherem Arbeitseinsatz einhergehen, aber auch gesundheitliche Risiken mit sich bringen. Bei der sogenannten interessierten Selbstgefährdung nehmen Mitarbeitende eine Gefährdung der eigenen Gesundheit in Kauf, um sich den Erfolg der eigenen Arbeit zu sichern oder einen Misserfolg zu vermeiden. Die Aufgabe von Führungskräften ist es daher, darauf zu achten, wie mobil-flexible Mitarbeitende ihre Grenzen wahrnehmen und für ihr eigenes Wohlbefinden regulieren, seien es die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben oder zwischen Produktivität und Gesundheit.

In der nächsten Folge diskutieren wir die Unsichtbarkeit und Messung von mobil-flexibel erbrachter Leistung. Bis zum „Wiederlesen“ in zwei Wochen schauen Sie gerne bei den aktuellen Downloads unserer Weiterbildungs-Website für Work Smart Management vorbei.

Hier geht’s zur Blogserie #4: Beurteilung von Leistung und Produktivität