Perfect Match
30. September 2020
Studium und Arbeit lassen sich heute dank flexibler Arbeitsformen immer besser unter einen Hut bringen. Wie gut mobil-flexible Zusammenarbeit über Landesgrenzen hinweg während des Ausnahmezustands einer Pandemie funktionieren kann, hat Sandro Fernandes während seines Auslandsemesters in den vergangenen Monaten erfahren.
2020 ist ein Jahr, in dem ich weit mehr über flexible Arbeitsformen gelernt habe als ich je erwartet hätte. Mit der einmaligen Chance, neben meiner Arbeit für das Gesundheitsmanagement der Schweizerischen Post ein Auslandssemester im Masterstudiengang «Angewandte Psychologie» zu absolvieren, bin ich im Januar nach Spanien losgezogen. Parallel zu meinem 40-Prozent-Pensum bei meinem Arbeitgeber und meinem Studium an der psychologischen Fakultät der Universität in Santiago de Compostela wollte ich hautnah eine andere Kultur erfahren, meinen Horizont erweitern und vor allem neue Erkenntnisse zum mobil-flexiblen Arbeiten sammeln. Dass sich meine Erwartungen – insbesondere betreffend flexible Arbeitsformen – während meines Aufenthalts in Spanien übertreffen würden, zeichnete sich bereits wenige Wochen nach meiner Ankunft ab. Doch alles schön der Reihe nach …
Spanien stellte meinen Tagesrhythmus komplett auf den Kopf
Kaum in Spanien angekommen, war mir sofort klar: Hier ticken die Uhren anders – auch für Student*innen und «Flex-Worker», die nur für ein paar Monate vor Ort sind. Meinen über Jahre vertrauten Tagesablauf habe ich schnell an die Kultur und Gepflogenheiten meines Gastlandes angepasst. Der spanische Lebensrhythmus widerspiegelt sich nicht nur im gesellschaftlichen Leben und im privaten Umfeld, sondern auch im Studien- und Berufsalltag. So starten beispielsweise Berufstätige zwar meist erst um 10 Uhr am Morgen in ihren Arbeitstag, dafür beenden sie ihn normalerweise auch nicht vor 20 Uhr. Auch meine Vorlesungen haben selten vor 9 Uhr begonnen und dauerten bis spät in den Abend. Das war ich in dieser Form von meinem Studium in der Schweiz anders gewohnt. Um Arbeit, Studium und andere Lebensbereiche miteinander zu vereinbaren, war ein neues Zeitmanagement gefragt.
Meine Arbeitseinteilung vor Pandemieausbruch war klassisch: Die Tage, an denen ich an keinen Präsenzveranstaltungen der Universität teilnehmen musste, arbeitete ich von meiner Wohnung in Spanien aus für die Post in der Schweiz. Diese definierten Tage im Home Office nutzte ich vor allem für regelmässige Skype Calls, Team-Meetings oder auch, um konzentriert an meinen Projekten zu arbeiten. An Tagen, an denen mir die Decke auf den Kopf zu fallen drohte, habe ich meinen Arbeitsplatz an einen «Third Workplace» verlagert – zum Beispiel in die Uni-Bibliothek oder in einen Coworking Space.
Dann kam Corona
Kaum hatte ich mich und meinen Arbeitsalltag in Santiago de Compostela organisiert, brach die Corona-Pandemie aus. Da die virtuelle Tätigkeit bereits ein wichtiger Baustein meines Alltags war, gab mir diese Struktur und Halt.
Mit mobilen Geräten, Vertrauen seitens Team und Führungskraft, regelmässigem und transparentem Austausch sowie einer vorausschauenden Organisation liess sich die Zusammenarbeit gut gestalten. Es brauchte eine gute Portion Selbstmanagement und Disziplin: Ich musste mich abgrenzen, denn die Grenzen zwischen Uni-, Arbeits- und Privatleben sind nicht trennscharf. Aber wo sind sie das sonst? Aufgrund moderner Arbeitszeitmodelle wie Jahresarbeitszeit und Arbeitsformen wie Home Office oder Arbeiten in «Third Workplaces» konnte ich meine projektbezogenen Aufgaben gut in den Stundenplan der Universität integrieren. Auch Erkundungstouren im schönen Galizien konnte ich dadurch einplanen. Damit die Koordination aller Aufgaben gelingt, sind eine strukturierte Arbeitsplanung sowie ein gutes Zeitmanagement notwendig.
Ein gutes Team: unerlässlich, insbesondere in besonderen Zeiten
Während den rund anderthalb Monaten in Quarantäne schätzte ich den engen und regen Austausch mit der Co-Leitung und meinen Teamkolleg*innen noch mehr als sonst. Da nun alle virtuell arbeiteten, war das Verständnis für mich und meine Arbeitssituation im Ausland noch grösser. Bei unseren virtuellen Team-Meetings achteten wir einerseits darauf, dass wir uns an gewisse Spielregeln hielten, um effizient voranzukommen. Andererseits sorgten wir auch für den informellen Austausch. So konnte ich bei virtuellen Cafés oder Apéros die Kolleg*innen an meinem kulturellen Abenteuer in Spanien teilhaben lassen.
Und plötzlich war alles und jede*r virtuell
Eine Herausforderung in der Quarantäne war vor allem, dass sich alles virtualisierte: Von der Arbeit über das Studium, Hobbies und die Kontaktpflege wurde alles online durchgeführt, was mich auch ermüdete. Um dem entgegenzuwirken, übte ich mich im «Digital Detoxing» und nahm mir gezielt Zeit, abzuschalten und zu entschleunigen. Die Corona-Zeit gab mir persönlich auch die Chance, mich selber neu zu erfinden und Neues auszuprobieren, sei es beruflich (Aneignung neuer digitaler und kollaborativer Tools) oder privat.
Häufig wird im Zusammenhang mit mobilem Arbeiten auf verschiedene Gefahren hingewiesen: beispielsweise auf die fliessende Grenze zwischen Arbeits- und Privatleben oder die soziale Isolation. Beides habe ich persönlich anders erlebt. Das bewusste Gestalten dieser Grenzen und auch einer Tagesstruktur gewann in der Quarantäne eine andere Qualität. Da ich an den Team-Sitzungen per Skype teilnehmen konnte und mich regelmässig mit meinem Team sowohl auf fachlicher als auch auf privater Ebene austauschte, hatte ich selten das Gefühl, allein zu sein.
Gestärkt und bestätigt zurück ins «New Normal»
Während meiner Quarantäne ist mir bewusster geworden, wie wichtig mir es ist, Kolleg*innen und Freunden persönlich zu begegnen und Kontakte zu pflegen. Ich habe gespürt, wie sehr ich für die Themen Gesundheitsförderung und Prävention brenne. Die Zeit in der Quarantäne war eine Zeit der Selbstreflexion, in der ich viel über mich gelernt habe und meine Resilienz auf die Probe gestellt wurde. Ich komme mit bereichernden Erfahrungen im Rucksack zurück in die Schweiz und bin froh, diese Chance gepackt zu haben. Und ich bin motiviert, mich auch in Zukunft für meinen Arbeitgeber zu engagieren.
Mit meiner Arbeitsform stiess ich in Spanien immer wieder auf viel Neugier und Interesse, da mobil-flexible Arbeitsformen in den dort oft hierarchisch und traditionell organisierten Unternehmen nicht gefördert werden. Respektive noch nicht. Die Entwicklungen der Arbeitswelt in Spanien werde ich jedenfalls mit regem Interesse weiterverfolgen.
Sandro Fernandes arbeitet als Fachspezialist im Gesundheitsmanagement der Schweizerischen Post und absolvierte im Rahmen des Masterstudiengangs Angewandte Psychologie der Fachhochschule Nordwestschweiz ein Auslandsemester an der Universität USC in Santiago de Compostela.