Psychische Herausforderungen flexiblen Arbeitens

5. November 2020 - Nina Imboden, FHNW

Durch die Verbreitung von Corona sind aus Möglichkeiten Notwendigkeiten geworden. Welche Auswirkungen hat die flexible Arbeit auf unsere Psyche? Welche Rolle spielt die Persönlichkeit und welche spielen die Umstände? Und wie können wir einen Weg finden, mit dieser neuen Normalität erfolgreich umzugehen?

Mobil-flexibles Arbeiten, also Arbeiten, welches nicht mehr an strikte Orte und Zeiten gebunden ist, birgt viele Chancen und Vorteile für alle Beteiligten: Studien zeigen, die Verkehrsinfrastruktur wird entlastet, Mitarbeitende geniessen eine höhere Autonomie und gewinnen Zeit, die Produktivität wird gesteigert und Unternehmen machen sich auf dem Arbeitsmarkt beliebter. Die jährlich durchgeführte Studie «Recruiting Trends» zu den «Arbeitnehmern von morgen» aus Deutschland kommt zum Ergebnis, dass ohne die Möglichkeit, von zu Hause aus arbeiten zu können, vier von zehn Personen der Generation Z (ab Jahrgang 1994) einen Job nicht annehmen würden.

Aber wie jede starke Veränderung bringt die flexible Arbeitsform nicht nur Chancen, sondern auch neue Herausforderungen mit sich. So kann es bei den Betroffenen zu Phänomenen wie Stress und Ermüdung kommen. Langfristig führt dies zu chronischem Stress, Übermüdung sowie Burn-out.

Im Februar 2020 führte ich im Rahmen meiner Bachelorarbeit eine Mitarbeiterumfrage bei einem der grössten Schweizer Arbeitgeber, welcher schon seit Längerem mobil-flexibel arbeitet, durch. Ziel war es, die psychischen Anforderungen des flexiblen Arbeitens genauer zu betrachten. Im Laufe der Recherche bisheriger Studien zum Thema kristallisierten sich sechs Faktoren mit starkem Einfluss auf das psychische Wohlbefinden im Zusammenhang mit flexiblen Arbeiten heraus:

  • Beziehungen zu anderen Mitarbeitenden
  • Life-Domain Balance
  • Arbeitsbezogene erweiterte Erreichbarkeit und Entgrenzung
  • Work–Family Conflict
  • Erhöhte Anforderungen an das Selbstmanagement
  • Selbstgefährdung

Als Beispiel: Weniger Präsenz am Arbeitsort mindert die Gelegenheit für den spontanen Austausch. Weniger Austausch schwächt wiederum die sozialen Ressourcen einer Person und fördert somit das Auftreten von Stress und Ermüdung. Das dies vermeidbar ist, zeigt eine gemeinsame Studie der ZHAW und FHNW während Corona:  70 % der 333 Befragten fühlen sich im Homeoffice wohl oder sehr wohl und wollen diese Art der Arbeitsorganisation nach der Corona-Krise beibehalten (Schulte, Steinebach, Verkuil, & Hübenthal, 2020).

Wie also können flexible Arbeitsformen erfolgreich funktionieren und zum Wohlbefinden beitragen? In der Arbeitspsychologie gelten die Ressourcen als zentraler Pfeiler: Arbeitsressourcen sind physische, psychische, soziale oder organisationale Aspekte der Arbeit. Sie helfen den Mitarbeitenden, psychische Belastungen zu reduzieren oder die persönliche Entwicklung zu unterstützen. Beispielsweise kann die Motivation im Homeoffice leiden, da man weniger Input von aussen hat. Entscheidungsspielraum, Rückmeldung zur eigenen Arbeit und die wahrgenommene Wichtigkeit der Aufgabe (alles Ressourcen) können sich positiv auf die Motivation auswirken.

Eine weitere Antwort liegt in der Persönlichkeit und im Lebensstil. Nicht alle Mitarbeitenden reagieren gleichermassen auf die flexiblen Arbeitsbedingungen – Persönlichkeit und persönliche Umstände spielen eine wichtige Rolle. Untersuchungen haben sogenannte Boundary-Typen identifiziert, die unterschiedliche Abgrenzungsbedürfnisse zwischen Arbeit und anderen Lebensdomänen haben. Der Typ Segmentierer braucht beispielsweise starke, undurchlässige Grenzen. Ziel ist es, dass das individuelle Grenzbedürfnis mit jenem des Umfelds übereinstimmt. Dafür müssen Mitarbeitende ihr persönliches Bedürfnis kennen.

Flexible Arbeitsformen wie das Homeoffice sind angekommen und werden auch in Zukunft bleiben. Sie tragen Gefahren für die psychische Gesundheit, über die man sich bewusst sein sollte. Spannende neue Aktivitäten in Teams, wie zum Beispiel die tägliche virtuelle 15.00-Uhr-Kaffeepause, beweisen: Man muss sich vor den Gefahren nicht fürchten, sondern kann sie mit zum Teil überraschend kleinem Aufwand lösen. Die Lösung kommt nicht von einer Person allein – die Mitarbeitenden, die Führung und schlussendlich die ganze Organisation müssen ihren Beitrag dazu leisten. Organisationen, die das verstanden haben, feiern entsprechende Erfolge. Christoph Aeschlimann, CTO und CIO von Swisscom, meint: «Um ein stetes Ausprobieren, Lernen und Verbessern auf der Suche nach der geeigneten Zusammenarbeits- und Organisationsform kommt man nicht herum.» Für mich als junge Berufseinsteigerin ist es das, was ich in einer Organisation suche: den Willen, in zeit- und bedarfsgerechten Arbeitsformen zu investieren.

Autorin

Nina Imboden, B. Sc. Psychologie mit Schwerpunkt Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie, interessiert sich für neue Arbeitsformen und hat in ihrer Bachelorarbeit die psychischen Belastungen flexibler Arbeitsformen bei Mitarbeitenden eines grossen Schweizer Arbeitsgebers analysiert.

Zitierte Studien

  • Bakker, A. B., & Demerouti, E. (2007). The Job Demands-Resources model: State of the art. Journal of Managerial Psychology, 22, 309–328.
  • Beitrag Christoph Aeschlimann zu New Work bei Swisscom: https://www.linkedin.com/pulse/die-evolution-von-new-work-bei-swisscom-teil-1-christoph-aeschlimann.
  • Center of Human Resources Information Systems, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (2020). Generation Z – die Arbeitnehmer von morgen.
  • Gajendran, R. S., & Harrison, D. A. (2007). The Good, the Bad, and the Unknown About Telecommuting: Meta-Analysis of Psychological Mediators and Individual Consequences. Journal of Applied Psychology, 92, 1524–1541.
  • Gisin, L. J. (2014). Boundary-Typen, Boundary Management und Boundary Taktiken im Home Office. Untersuchung des Einflusses der “Boundary Theorie” auf das mobile Telearbeiten, insbesondere der Arbeit im Home Office. Veröffentlichte Dissertation (Masterarbeit), Fachhochschule Nordwestschweiz, Olten.
  • Hacker, W., & Richter, P. (1984). Psychische Fehlbeanspruchung. Psychische Ermüdung, Monotonie, Sättigung und Stress (2. Aufl.). Berlin Heidelberg: Springer.
  • Schulte, V., Steinebach, C. Verkuil, A. Hübenthal, S. (2020). Studie zur Umstellung auf Homeoffice in der Schweiz während der Covid19 Krise. https://www.fhnw.ch/de/die-fhnw/hochschulen/hsw/media-newsroom/news/die-mehrheit-fuehlt-sich-wohl-im-homeoffice#:~:text=Eine%20Studie%20der%20FHNW%20und,Fachhochschule%20Nordwestschweiz%20und%20der%20ZHAW.
  • Weichbrodt, J., Berset, M., & Schläppi, M. (2016). FlexWork Survey 2016: Befragung von Erwerbstätigen und Unternehmen in der Schweiz zur Verbreitung mobiler Arbeit. Olten: Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW.
  • Weichbrodt, J., Schulze, H., Gisin, L., Tanner, A. & Welge, K. (2015). Forschungsbericht «GeMobAU»: Gestaltung mobil-flexibler Arbeit in grossen und mittleren Unternehmen. Forschungsbericht, 40 S. Olten: Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW.
  • Weichbrodt, J., Sprenger, M., Steffen, M., Tanner, A., Meissner, J. O., & Schulze, H. (2013). WorkAnywhere: Mehr Produktivität und Zufriedenheit der Mitarbeitenden sowie Entlastung der Verkehrsinfrastruktur dank mobil-flexibler Arbeitsformen. Bern: SBB AG.